„On the wall“ heißt eine aktuelle Ausstellung mit Kultfaktor, in der wider Erwarten nicht die Biografie des „King of Pop“ im Mittelpunkt steht. Es geht im Wesentlichen darum, wie andere Künstler sein Leben und seine Karriere interpretieren. Kritisch oder idealisiert, es ist erstaunlich, wie die internationale Kunstszene das Phänomen Michael Jackson betrachtet. Zu sehen in der Bundeskunsthalle Bonn (noch bis 14. Juli) und mein „Kultding des Monats“.
„Es geht hier weder um die Biografie noch direkt um das Werk von Michael Jackson, sondern um den Widerhall des „Phänomens Jackson“ in der zeitgenössischen bildenden Kunst.“ (Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn)
Inhalt
Bei Michael Jackson lagen Genie und Wahnsinn eng zusammen
Im Vorfeld ging die Post ab. Als am 22. März der Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn die Ausstellung eröffnete, startete kurz zuvor die Deutschlandpremiere der umstrittenen Dokumentation „Leaving Neverland“, in denen zwei Männer (heute 37 und 40 Jahre alt) darüber berichten, wie der 2009 verstorbene Michael Jackson sie als Kinder missbrauchte. Da fiel es nicht leicht, zu erklären, dass diese Ausstellung in einem anderen Kontext steht.
Ich finde, der Besuch lohnt sich, denn es geht nicht um ein „In den Himmel loben“ des King of Pop. Vielmehr wird gezeigt, welche Themen er durch seine Popularität angestoßen hat und wozu er Künstler aus aller Welt inspiriert. Schwarz und weiß, Rassendiskriminierung, Veränderung der Popkultur, Starkult, Liebe, Anerkennung und Verlust. Alles Themen, die in den verschiedenen Räumen namens „König“, „American Jesus“, „Who´s bad“ etc. mit entsprechenden Kunstwerken zum Ausdruck kommen.
„Freeze“ – der kurze Moment auf der Fußspitze
Gleich zu Beginn der Ausstellung zeigt das Kunstwerk „P.Y.T.“ von Appau Junior Boakye-Yiadom ein Paar schwarze Slipper (nicht das Original), die auf der Spitze stehend von einem Dutzend bunter Luftballons gehalten werden. Ein Symbol für den vergänglichen Moment, den Jackson „Freeze“ nannte. Diesen Wettkampf mit der Schwerkraft konnte selbst Michael Jackson nicht gewinnen.
American Jesus oder König? Verehrung der Kult-Figur
Im nächsten Raum wird Michael Jackson hoch zu Ross dargestellt. Während der Führung erfahre ich warum. Nachdem Jackson im Brooklyn Museum in New York während eines Fotoshootings für seine letzte Coverstory ein großes Reiterporträt eines jungen Schwarzen in der Pose des Alpen überquerenden Napoelon gesehen hatte, rief er den Künstler Kehinde Wiley an. Das Ergebnis ist dieses detailverliebte Bild, das Wiley erst nach Jacksons Tod fertigstellen konnte.
Ein anderer Künstler, der Fotograf David LaChapelle, brachte kurz nach Jacksons Tod eine gottgleiche Verehrung für den King of Pop in Form von großformatigen Fotografien unter dem Titel „American Jesus“ zum Ausdruck. Denn für ihn erschien Michael Jacksons Lebensweg „nahezu biblisch.“
LaChapelle war auch von Michaels Unschuld im Hinblick auf die 1993 vor Gericht gebrachten Vorwürfe sexuellen Missbrauchs vollkommen überzeugt und äußerte sich zu seinem Tod so:
„Wir verfolgten ihn. Jeder, der eine Boulevardzeitung kaufte oder die Nachrichten sah, wir alle tragen zu seinem Tod bei, indem wir diese Art des Klatsches konsumierten.“ (Fotograf David LaChapelle)
Ich für meinen Teil stand mehr als ungläubig (passender Begriff in diesem Zusammenhang) vor diesen verstörenden Bildern und wunderte mich, in welchem Ausmaß dieser Fotograf den Popstar glorifizierte.
Witzige Aktion: Treue Fans singen und tanzen „Billy Jean“
Nach weiteren Themenräumen, die sich unter anderem künstlerisch mit seiner engen Beziehung zu Elizabeth Taylor beschäftigen und seine Zusammenarbeit mit Andy Warhol (s. Titelbild dieses Beitrags) zeigen, gelangt man im letzten Drittel der Ausstellung in einen verdunkelten kinoähnlichen Raum. An dessen Längsseite stehen sechzehn mannshohe Bildschirme nebeneinander. Zu sehen ist hier das Werk von Candice Breitz, die 2005 exakt 16 deutschsprachige Fans von Michael Jackson zur sogenannten Track-by-Track-Neuschöpfung von „Thriller“ (1982) versammelte. Nachdem sich die TeilnehmerInnen als aufrichtige und leidenschaftliche Jackson-Fans herausgestellt hatten – die einzige Auflage, um bei dem Projekt mitzumachen – ließ sie jeden einzelnen das gesamte Album a capella singen.
Jeder Fan durfte selbst aussuchen, was er anzog und wie er auftreten wollte. In der Ausstellung ist der synchrone Zusammenschnitt aller 16 Frauen und Männer zum Song „Billy Jean“ zu sehen. Manche bewegen sich so gut wie gar nicht, andere exakt so wie Michael Jackson. Zusammen ergibt das ein lustiges und spannendes Porträt der Fans des King of Pop. Absolut sehenswert und eines der Highlights der Ausstellung.
Michael Jackson war Meister der Selbstinszenierung
Die Ausstellung erinnert auch an seinen legendären Auftritt 1992 in der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Der Fall des Eisernen Vorhangs und die Erschießung Ceausescu´s waren damals erst drei Jahre her, die Öffnung zum kapitalistischen Westen steckte noch in den Kinderschuhen. Und dann kam der King of Pop auf die Bühne des ausverkauften Nationalstadions. Minutenlang verharrte er vor 100.000 Menschen in einer Pose, bei der kleinsten Bewegung geriet die Menge in eine Massenpsychose. Die ersten Ohnmächtigen wurden bereits aus den Reihen gezogen, bevor das eigentliche Konzert mit Paukenschlag, Feuerwerk und Glitzerregen begann. Der extreme Fankult, der mit Elvis und den Beatles anfing, fand seinen vorläufigen Höhepunkt bei Michael Jackson. Der Künstler Dan Mihaltianu hielt das „Jacksonmania“ genannte Phänomen, das vom Straßenkind bis zum Spitzenpolitiker vor keiner sozialen Schicht Halt machte, in dieser Installation fest.
„I want you“ Pose
Warum trug Jackson zu seinen Hochwasserhosen immer weiße Socken und schwarze Slipper, selbst wenn es modisch überhaupt nicht zu seinen Offiziersjacken und Glitzerrüstungen passte? Weil er das Auge gezielt auf seine tänzerische Leistung lenken wollte. Was ihm auch gelang. Der Glitzerhandschuh war eine ähnliche Botschaft, wie mir unser Guide im Museum erklärt. Auch die Inszenierung der Pose, in der er mit dem Finger auf sein Gegenüber zeigt. Na klingelt´s? Es erinnert an das berühmte Rekrutierungsplakat aus dem Ersten Weltkrieg, in der „Uncle Sam“ (ein hagerer, älterer Mann mit weißer Hautfarbe, weißen Haaren, Ziegenbart und ernster Mimik) mit genau dieser Geste für das Militär warb: I Want You for U. S. Army. Michael Jackson war Meister der Botschaften durch gezielte Inszenierung.
Mein Fazit als Nicht-Jackson-Fan
Klar haben mich die Songs von Michael Jackson durch meine Jugend begleitet und bis heute tanze ich gerne zu „Billy Jean“ oder „Thriller“. Aber ich würde mich nicht als Michael Jackson-Fan bezeichnen (Prince war eher mein Fall). Seine Moves und seine neue Art zu tanzen haben mich immer mehr beeindruckt als die Songs selbst. Für mich war und bleibt er ein undurchschaubares Phänomen, ein Ausnahmetalent der weltweiten Popgeschichte und gleichzeitig trauriges Ergebnis einer geraubten Kindheit. Er bestieg als schwarzer Sänger den absoluten Pop-Olymp und war zugleich Opfer der krankhaften Wucherungen seines Erfolgs.
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Hinweis: Der Text ist ein redaktioneller Beitrag von meinem Ausstellungsbesuch. Ich wurde weder beauftragt noch habe ich ein Honorar erhalten.
Kultding des Monats #April 2019
Fotos und Film © Simone Blaschke