Punkt 13:30 Uhr an diesem sonnigen Freitagmittag komme ich in die Touristinfo Braunschweig, wo mich bereits Reiner Feuge erwartet. Er ist heute mein „Private Guide“ in Sachen Mumme und Braunschweig.

Angesagte Spezialität im Mittelalter

Mumme? Was das ist erklärt mit Reiner, nachdem er sich umgezogen hat. Schließlich möchte er für meine Fotos in originalgetreuer Kluft erscheinen. Mein "Private Guide" durch Braunschweig.Genau so wie er sonst seine mittelalterlichen Führungen durch Braunschweig antritt.

Heute steht aber nicht er im Mittelpunkt, sondern das Getränk, das er in seiner Hand hält: die sogenannte Braunschweiger Mumme. Das ist ein malzhaltiges Getränk, das angeblich in Braunschweig erfunden, auf jeden Fall aber 1390 erstmals urkundlich in den Braunschweiger Akten erwähnt wurde.

Mumme-Bier aus Braunschweig.Schon nach wenigen Minuten mit Reiner ist klar. Er redet gern und viel und gibt es auch offen zu. Mit einem Lächeln beantwortet er meine Frage, was er hauptberuflich tut. „Lehrer“, sagt er. Warum wundert mich das nicht? Aber was er sagt hat Hand und Fuß, und sein Wissen über die Geschichte Braunschweigs, gespickt mit kleinen Anekdoten und Weisheiten, ist geradezu unerschöpflich. An seine Redegeschwindigkeit muss ich mich aber erst gewöhnen. Schon in den ersten 5 Minuten, die wir vor dem Mumme-Verkaufsregal im Café-Bereich der Touristinfo verbringen, prasseln so viele Infos auf mich ein, dass ich mit meinen handschriftlichen Notizen kaum hinterher komme.

Mummeextrakt ist die Basis für das Bier

Bevor die Führung zu den markanten Punkten in der City (Dom, Burgplatz, Braunschweiger Löwe, Altstadtrathaus, Gewandhaus usw.) richtig losgeht, darf ich das süße Zeug erst einmal probieren. Aus einem Espresso-Tässchen löffle ich den dunkelbraunen zähflüssigen Malzextrakt heraus und koste ihn vorsichtig. Mumme-Extrakt zum Probieren.Der Geschmack erinnert mich im ersten Moment an Zuckerrübensirup. Schmeckt gar nicht schlecht, ist aber so dermaßen süß, dass mir ein kleines Löffelchen davon reicht, um mir vorzustellen, dass das im Mittelalter eine echte Delikatesse war. Reiner bestätigt meinen Eindruck und als wir an diesem sonnigen Freitagnachmittag unseren Rundgang beginnen, erzählt er mir alles genauer.

Ich erfahre, dass die Mumme als malzhaltiges Getränk der ideale Wegbegleiter für Seefahrer war. Wegen ihres hohen Alkohl- und Zuckergehalts war sie auch bei tropischen Temperaturen wochenlang haltbar und schützte die Seemänner durch ihren hohen Nährwert vor Skorbut.

„Moment mal, das ist ja alles schön und gut, aber was hat Braunschweig mit Seefahrt zu tun?“ frage ich Reiner und höre, dass Braunschweig Gründungsmitglied und sogenannter Vorort der Hanse war.

Jetzt verstehe ich. Durch die Seefahrer wurde Braunschweiger Mumme zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert weltbekannt und bis nach Indien und in die Karibik verschifft. Um die Haltbarkeit der Mumme für Schiffsreisen noch weiter zu verlängern, wurde 1675 der Alkoholgehalt verdoppelt. Daher auch das Logo mit dem Segelschiff und er Bezeichnung „doppelte Segelschiff-Mumme“ auf der Verpackung.

Woher stammt der Name „Mumme“?

Die einen sagen so, die anderen so. Mumme soll beispielsweise von dem Begriff „Mumm“, ein Synomym für Kraft, abgeleitet worden sein. Offizieller ist die Verbindung mit „Mutter“ aus den verschiedenen Sprachen: lateinisch „Mumma Brunsvicensium“, englisch „Brunswick Mum“ und französisch „Mom de Bronsvic“.

Mein Guide Reiner glaubt, dass beim Mälzen etwas danebengegangen ist und dieses Zufallsprodukt (ähnlich wie beim „Bonbon“) die Grundlage für die Braunschweiger Mumme war. Und weil man feststellte, dass sie kraft- und energiespendend wirkte, war sie besonders für werdende Mütter geeignet. Stimmt, bis heute hält sich die Annahme, dass Malzbier für Schwangere gut sein soll.

So oder so, das Mumme-Getränk war im Mittelalter extrem hilfreich. Denn Trinkwasser und überhaupt Hygiene waren zu dieser Zeit schlicht nicht vorhanden. Wer die Anfangsszene aus dem Film „Das Parfum“ kennt, weiß was ich meine.

Rundblick vom Braunschweiger Rathausturm

Panoramablick auf Braunschweig vom Rathausturm.Während Reiner mir weitere Details zur Braunschweiger Mumme und der Geschichte Braunschweigs berichtet, steigen wir die 161 Stufen auf den Rathausturm hoch. Oben angekommen habe ich den perfekten Rundumblick über meinen Zweitwohnsitz. Ich sehe die erhaltenen, restaurierten oder zumindest geschickt nachgebauten Relikte aus der Zeit der Welfenkönige, deren bekanntester Herrscher „Heinrich der Löwe“ so etwas wie ein Popstar im Mittelalter war und Braunschweig den Beinamen „Löwenstadt“ brachte. Ich blicke über die aus heutiger Sicht entstandenen „Bausünden“ der 1960er und 70er Jahre hinweg in den nördlichen Vorharz bis zur höchsten Erhebung im Harz, den Brocken. Und ich sehe direkt unterhalb des Turms auf den hübschen Kern der Innenstadt, den Burgplatz mit dem Dom und der Burg Dankwarderode. Reiner erklärt mir, dass viele Teile gar keine Originale oder originalgetreue Repliken, sondern gotische Spielereien aus dem 19. Jahrhundert sind. Doch das kann meine Begeisterung nicht mindern.

Mumme früher und heute

Zurück zur Mumme. Mein wandelndes Lexikon der Braunschweiger Geschichte (Reiner) erklärt mir, dass es in den Hochzeiten der Mumme 5 verschiedenen Produkte gab:

  • Nr. 1 und 2: Das 5 und 15-prozentige Bier für die feinen Herrschaften von höherem Rang.
  • Nr. 3: Die Stadt-Mumme, ein Leichtbier mit 2-3 Prozent Alkohol für das gemeine Volk.
  • Nr. 4: Die Kirschmumme, mit Kirschsaft gemixtes Leichtbier, um Kinder (ja wirklich) an den Geschmack zu gewöhnen.
  • Nr. 5: Die Ernte-Mumme, die bis zu Erntedankfest gelagert und als Belohnung für die Erntehelfer ausgeschenkt wurde.

Erst im 18. Jahrhundert kam die alkoholfreie Malzbiervariante dazu. Stolz erklärt mir Reiner, dass die Braunschweiger Mumme bis heute als Basis aller weiteren Malzprodukte in Deutschland gilt.

Nachdem neue Verfahren zur Lebensmittelkonservierung auf den Markt kamen, ließ die Nachfrage nach Mumme rapide nach. Bis in die 1990er Jahr krähte kein Hahn mehr danach. Heute erlebt sie eine Renaissance als lokale Spezialität. Es gibt nur noch eine einzige Brauerei, die das Malzbier als Nischenprodukt herstellt. Außer bei besonderen Events (s. u. Kult-Tipp), in ausgewählten Supermärkten und in der Touristinfo mit Online-Shop kann man es nirgends bekommen.

Das Sortiment reicht von Bolchen (norddeutsch für „Bonbons“), Fruchtaufstrich, Senf, Likör, einer Hartwurst mit dem ulkigen Namen „Mumme-Knüppel“, Bier bis zum dickflüssige Extrakt zum Verfeinern von Saucen und Speisen.

Wenn du in Braunschweig bist, solltest du „Mumme“ unbedingt probieren. Zum Beispiel auf der mummegenussmeile vom 3. bis 5. November 2017 auf dem Braunschweiger Kohlmarkt oder auf dem Weihnachtsmarkt in Braunschweig.

KULT-Tipp: Mumme auf dem Weihnachtsmarkt

Den Braunschweiger Weihnachtsmarkt kann ich dir wirklich empfehlen. Dort findest du auch einen Stand vom sogenannten „Mumme-Wirt“, wo es neben Mumme-Bier auch Mumme-Glühwein gibt. Dazu kannst du ein Stück vom Spanferkel essen, das mit dem zähflüssigen Extrakt eingepinselt und in einem mit Mummeextrakt gebackenen Brötchen serviert wird.

P.S. Ich habe das Spanferkel am 2. Dezember 2017 auf dem Braunschweiger Weihnachtsmarkt probiert. Echt lecker!

KULT-Insider: Künstler-Köpfe

Wenn du bei einem Stadtbummel durch die Braunschweiger Innenstadt vor dem Gewandhaus stehst, schau dir die Köpfe an der Fassade ganz genau an. Hier haben sich die Bildhauer bei der Rekonstruktion der Fassade nach dem 2. Weltkrieg einen kleinen Gag erlaubt. Vielleicht entdeckst du zwei prominente Köpfe, die ganz und gar nicht in die Mittelalterzeit passen. Na, erkennst du sie? Dann schreibe mir gerne einen Kommentar.

Das Gewandhaus mit 2 prominenten Köpfen.

Meine Mumme-Tour mit Reiner Feuge endet nach 1,5 Stunden vor dem Alten Rathaus mit einem herzlichen Dankeschön und der Gewissheit, wieder eine kultige Spezialität für mein KULTblog entdeckt zu haben.

Ich stehe vor dem Braunschweiger Rathausturm. Ganz oben hat man einen wunderbaren Blick über die ganze Stadt.Hinweis: Die Stadtführung habe ich als Reisebloggerin und Journalisten beim Braunschweiger Stadtmarketing angefragt. Damit sind keine besonderen Absprachen oder Sponsoring verbunden.

Alle Fotos © Simone Blaschke

 Okt. + Dez. 2017