Als ich letzte Woche ein paar Tage auf Borkum war, fiel mir ein Holzwagen mit großen Rädern auf, wie ich ihn auch an anderen Nordseestränden schon gesehen habe. Dieses Mal habe ich genauer hingeschaut und stelle dir in meinem Kultding des Monats vor, was es mit dem sogenannten Badekarren auf sich hat.
Inhalt
Badekarren am Strand von Borkum weithin sichtbar
Gegensätzlicher könnte der Anblick kaum sein. Am Nordstrand von Borkum, ziemlich genau in der Mitte zwischen West- und Ostland, direkt neben dem Strandcafé Up Stee mit der Strandsauna beginnt der FKK-Bereich. Nur wenige Meter weiter steht leuchtend blau auf dem hellen Strand weithin sichtbar ein Badekarren. Dieser hier wurde nach historischem Vorbild gebaut und erst Anfang Mai dieses Jahres aufgestellt. Er dient als Informationspunkt zum Strandbrüterschutz im Nationalpark Wattenmeer. Doch historisch gesehen hatte der Badekarren eine völlig andere Funktion: Er bot im 18. und 19. Jahrhundert die einzige Möglichkeit, überhaupt im Meer baden zu gehen.
Sittsam verhüllt mit dem Badekarren ins Meer
Damals standen die Badekarren am Strand und wurde in Straßenkleidung betreten, wobei eine Karre entweder für Frauen oder für Männer bestimmt war. Im Inneren der fensterlosen Kabine zogen sich die Badegäste um, geschützt vor neugierigen Blicken. Je nach Größe der hölzernen Umkleidekabine gab es Bänke für vier bis sechs Personen. Die Karre wurde dann von einem Kutscher mit Pferdegespann ins Wasser gezogen. Nur so durfte man es damals wagen, sittsam korrekt und möglichst ungesehen, ein kurzes Bad im Meer zu nehmen. Und das schön züchtig mit ordentlicher Badekleidung, die damals so aussah wie auf dem Foto bei der Dame: Ein hochgeschlossener Zweiteiler, die Beine bis zum Knie verhüllt und mit Kopfbedeckung. Männer trugen oft auch einteilige Badeanzüge, die alle anzüglichen Stellen mit viel Stoff verhüllten. In einer interessanten Dokumentation des NDR erfährst du mehr über die Geschichte des Badens im Meer und die historischen Badekarren.
Plane als Sichtschutz und Halteleine für Nichtschwimmer
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt es regelrecht als anstößig, wenn Frauen und Männer zusammen baden gingen. Deshalb wurden die Badekarren so ins Wasser gefahren, dass sich die beiden Geschlechter noch nicht einmal von weitem sehen konnten.
Dafür wurde die rollende Umkleidekabine so im Meer positioniert, dass die hintere Tür dem Strand abgewandt war und der bzw. die Badende verdeckt hinter der Karre über eine kleine Treppe ins Wasser steigen konnten. Als ob das nicht ausreichend Sichtschutz genug gewesen wäre, wurde über den Ausstieg zusätzlich noch eine Plane gespannt.
Weil zur damaligen Zeit fast keiner wirklich schwimmen konnte (wie auch, bei der Zucht und Ordnung?), diente ein an der Badekarre befestigtes Tau als Haltleine für Nichtschwimmer. Im Grunde kann man diesen Akt eher als kurzes abkühlendes Bad bezeichnet als dass man wirklich von „Schwimmen gehen“ sprechen konnte.
Anschließend ging das ganze Spiel auf die gleiche Art wieder zurück zum Strand.
Wer hat die Badekarre erfunden?
Wie in verschiedenen Quellen* zu lesen ist, hat ein Engländer aus Kent den Badekarren etwa 1750 erfunden. Von dort aus soll die Umkleidekabine auf Rädern auch in den anderen europäischen Seebädern in Mode gekommen sein, in Deutschland unter anderem auf Norderney, Borkum und in Travemünde. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden an den deutschen Küsten immer mehr Badeanstalten und auch feststehende Badebuden, noch lange streng nach Geschlechtern getrennt. Als 1901 in Großbritannien die gesetzlich vorgeschriebene Geschlechtertrennung beim Baden endete, nahm auch die Nachfrage nach den Badekarren ab.
Heute werden die umgebauten Badekarren an den Stränden der Insel Borkum von Rettungsschwimmern der DLRG genutzt. Außerdem stehen, ganz neu seit Juni 2021, in den Dünen die sogenannten FKK-Budjes. In den locker verteilten feststehenden Holzbuden mit Sitzgelegenheiten kann man sich umziehen sowie Kleidung und Strandutensilien verstauen. Achtung: In diesem Jahr gibt es auf die Wochenmieten günstige Einführungspreise.
Kult-Tipp: Campingurlaub im nostalgischen Nordsee-Karren
Zum Schluss noch ein Tipp für alle Campingfreunde. Die Badekarren gibt es auch in größerer Ausführung zum Übernachten und Urlaub machen. Im Nordseebad Dangast südlich von Wilhelmshaven, in Dornumersiel gegenüber der Ostfrieseninsel Langeoog auf dem Festland und in Schillig im Wangerland oberhalb von Wilhelmshaven stehen die Nordsee-Karren zum Mieten. In Schillig gibt es außerdem noch ein Green Tiny House und einen Schlafstrandkorb zum Übernachten.
*Quellen: Wikipedia, LinkFang, Nationalpark-Wattenmeer.de, Borkumer Zeitung, Borkum.de, die-nordsee.de
Wo hast du schon einen Badekarren gesehen oder vielleicht sogar in einem übernachtet? Schreibe mir gerne einen Kommentar!
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Kultding des Monats #Juni 2021
Fotos © Simone Blaschke, Pixabay**, Insellandhotel Michaelsen***
Vielen Dank für die anschauliche Beschreibung. Ich bin grade durch eine Texterwähnung in dem Buch Elbstürme auf Badekarren aufmerksam geworden und war neugierig, wie sie wohl aussehen, und dann bin ich auf diesen interessanten Beitrag hier gestoßen.
Liebe Sandra, das freut mich. Ja, das sind spannende Sidekicks, wenn man auf Reisen ist. Aber wem sag ich das ;-) Liebe Grüße und fröhliches Reisen, Simone
Liebe Simone vom Kultreiseblog,
wir, Schwitzkasten1800, haben uns in den letzten Jahren ebenfalls mit der Geschichte und dem Bau der Badekarren auseinander gesetzt.
Der Erfinder der „Bathing machine“ ist Benjamin Beale. Nachlesen kann man das im Bademuseum Norderney.
Viele Grüße,
Nicole von Schwitzkasten1800
Liebe Nicole,
vielen Dank für diese interessanten Ergänzungen. Ich habe gerade auf eure Webseite unter https://schwitzkasten1800.de/ geschaut. Ihr baut ja sogar solche Holzkarren. Wie großartig! Vielen Dank, dass du geschrieben hast. Deine Tipps nehme ich noch in den Beitrag auf.
LG, Simone