Vancouver Island: Wildkatze oder schnurrender Kater

In Südostasien hätte ich ein Tsunami-Warnschild jederzeit erwartet, nicht aber an der West­küste von Vancouver Island inmitten einer kleinen Wohnsiedlung. Auf dem Weg zum Wild Pacific Trail am südlichen Ende des Pacific Rim National Parks entdeckten wir das ungewöhnlich Schild.

Tsunami-Warnung

Schon kurze Zeit später wurde uns klar, warum der Hinweis auf die Tsumani-Zone Sinn macht. Unsere Wanderung durch den Regenwald oberhalb der Küste führt durch eine Naturlandschaft mit bizarren Baumriesen, die an einen verwunschenen Märchenwald erinnern. Die landwärts geneigten Stämme zeugen davon, dass sie schon so manchem Sturm getrotzt haben.

Die wilde und schöne Seite von Vancouver Island

Jenseits der steilen Klippen entlang des Trails tobt ab jetzt nur noch der Pazifik und trifft erst wieder tausende Meilen entfernt an der Küste Japans auf größere Landmassen. Dazwischen kann das Meer seine natürlichen Kapriolen schlagen. Was durch die Beschilderung zur Vorsicht mahnt, macht andererseits deutlich, wie wild und schön diese Seite Vancouver Islands ist. Einerseits raue Wildkatze, ist das Inselwunder auf der anderen, dem Festland zugewandten Seite eher ein schnurrendes Miezekätzchen.

Wild Pacific Trail auf Vancouver Island.

Viel Zeit zum Kennenlernen der Insel

Während mein Freund und ich bei unserer ersten Kanada-Reise nur einen kurzen Abstecher nach Victoria, der Hauptstadt British Columbias, unternahmen, entschieden wir uns beim zweiten Mal ganz bewusst dafür, länger zu bleiben. Fast zwei Wochen Zeit planten wir für Vancouver Island ein und das erwies sich als guter Plan. Schon die eineinhalbstündige Überfahrt mit der „Queen of Vancouver“ von Tsawwassen, ganz in der Nähe des Flughafens von Vancouver, nach Sidney auf der Saanich Halbinsel ist ein Genuss. Durch die zahlreichen vorgelagerten kleine­ren Inseln der Gulf Islands nimmt die Fähre Kurs auf Vancouver Island. Mit jeder Seemeile verabschiedeten wir uns vom bunten Stadtleben in Vancouver, in das wir in den Tagen zuvor mit großem Vergnügen eingetaucht sind. English Bay, Stanley Park, Granville Island und liebenswerte Vancouveranians – „Good bye“. Jetzt ging hinein in die prachtvolle Natur der Inselwelt.

Bed & Breakfast bei Freunden

In Sidney angekommen, fuhren wir mit unserem Mietwagen nach Süden zum Holzhaus un­serer Freundin Ute, das im typisch kanadischen Stil aus ganzen Baumstämmen gefertigt ist. Ute hatten wir im Vorjahr bei unser Stippvisite auf Vancouver Island kennen gelernt. Sie hat sich vor Jahren an der Cordova Bay ein Holzhaus gekauft, dass sie anfangs als Bed & Breakfast unterhielt. Heute können aber nur noch gute Freunde dort übernachten. Ute kommt aus Deutschland und lebt gut die Hälfte des Jahres auf der Insel, bevor sie vor dem stürmischen Herbst und Winter flieht. Denn zwischen Oktober und März kann es hier empfindlich feucht, kalt und windig werden.

B&B von Ute auf Vancouver Island.

Der Südosten von Vancouver Island ist ideal für Tagesausflüge

Wir verbrachten die ersten beiden Nächte bei unserer deutschen Freundin und erforschten auf unseren Tagesausflügen den südlichen Teil der 450 Kilometer langen und 100 Kilometer breiten Insel. Typisch für diese Region sind die zahlreichen Reservate der First Nations, die Ureinwohner Kanadas. Die Community der Sc’ianew (Chenuh, bedeutet „Big Fish“) entdeckten wir gleich am ersten Tag unserer Erkundungstour an der Beecher Bay im East Sooke Regional Park. Das rund 300 Hektar große Reservat zählt heute noch rund 230 Bewohner, von denen aber nur noch wenige eine oder mehrere der ursprünglich vier verschiedenen Stammessprachen beherrschen. Auch unter den Nachkommen der Ureinwohner wird inzwischen hauptsächlich Englisch gesprochen.

Durch das Dickicht auf den Trails von Vancouver Island.

East Sooke Regional Park mit Mammutbäumen

Ans Herz legen kann ich euch die Küstenwanderung im East Sooke Regional Park, 50 Kilometer südwestlich von Victoria. Sie führt direkt entlang der Meeresklippen durch eine botanische Artenvielfalt, die sehr typisch ist für die Insel. Douglasien, westamerikanische Hemlocktannen, Riesen-Lebensbäume, Oregon-Eichen und Küsten-Kiefern wachsen hier vorwiegend. Viele der Bäume haben einen Umfang von mehreren Metern. Solche Mammutbäume findet ihr auf der Insel immer wieder.

Auch der Goldstream Provincial Park ist ein gutes Ziel für eine Tagesetappe. Bei der Wanderung durch den Park könnt ihr gut sehen, wie hierzulande Forstwirtschaft betrieben wird. Umgestürzte Bäume mit meterdicken Stämmen bleiben in der Regel dort liegen, wo sie umgefallen sind und bieten als Wirtspflanze die Basis für neues Leben. Sollte einer der Riesen doch einmal direkt auf einem Trekking-Pfad gelandet sein, sägen die Ranger allenfalls ein Stück des Stammes frei. Meistens kann man aber einfach drüber klettern. Die Natur und ihre eigenwilli­gen Regeln gehen in jedem Fall vor. Zu viele Baumbestände sind auch auf Vancouver Island schon von der Holzindustrie bedroht. In den National und Provincial Parks aber sind Rodun­gen verboten.

Gulf Islands zwischen Vancouver Island und dem Festland

Nach einem letzten wunderbaren Frühstück mit frischen Früchten und selbstgemachter Marmelade verabschiedeten wir uns zwei Tage später von Ute, um unsere Reise auf die dem Festland vorgelagerte Insel Salt Spring Island fortzusetzen. Hier befindet sich die älteste Familienfarm British Columbias, benannt nach dem Iren Henry Ruckle. Er machte sich 1872 sesshaft und seine Familie bewirtschaftete die Farm über ein Jahrhundert, bevor sie ihr Land 1974 der Provinz übergaben, die den „Ruckle Provincial Park“ seitdem im öffentlichen Inte­resse betreibt. Nur einen kleinen Teil des Landes hat die Familie für die Schafzucht behalten. Bis heute sind die Stallungen und Gebäude der Familie Ruckle in einem guten Zustand und ihr könnt sie kostenfrei besichtigen.

Vor Ort haben wir uns ohne Vorbuchung einfach ein B&B gesucht, das uns gefiel. Es kommt aber auf die Reisezeit und eure persönliche Einstellung an. Man kann natürlich auch ein paar Tage im Voraus online eine passende Unterkunft suchen. Aber wer weiß, ob wir da die kultige Organic Farm der Insulanerin Elisabeth gefunden hätten. Die Hausgänse stolzierten zur Begrüßung auf unserer Terrasse direkt ins Zimmer, gefolgt von einem Berner Sennenhund, der versuchte, alle Tiere auf dem Hof zusammenzuhalten. Das kleine B&B gibt es inzwischen nicht mehr, aber dafür kann ich euch die Duck Creek Farm auf Salt Spring Island empfehlen.

Wandbilder von Chemanius

Zurück auf der „großen“ Insel stand zunächst Chemanius auf unserer Liste, benannt nach einem weiteren Stamm der kanadischen First Nations, der zur Sprachfamilie der Salish mit noch rund 1.300 Mitgliedern gehört. Touristische Attraktion des aufgehübschten kleinen Or­tes sind die 39 Wandbilder, die Szenen aus der Vergangenheit darstellen.

Von dort ging es weiter nördlich nach Nanaimo und per Fähre auf die nur fünf Kilometer entfernte Insel Gabriola Island. Die knapp 60 Quadratkilometer große Insel mit rund 4000 Einwohnern ist die zweitgrößte der Gulf Islands. Auch wenn es hier vom Shopping Center, Museum, einer Grundschule bis zu zahlreichen Restaurants alles gibt, was das zivilisierte Herz begehrt, sind noch genügend Wälder und naturbelassende Ufer zu finden. Einsame Küstenwanderwege und kleine Orte mit lauschigen Cafés halten sich angenehm die Waage. Ein zweitägiger Ausflug auf die Insel lohnt sich allemal.

Richtung Norden wird es feucht und neblig

Für die restliche Zeit unseres Inselurlaubs verabschiedeten wir uns von der vorgelagerten In­selwelt und fuhren noch ein Stück weiter in den Norden nach Courtenay, um von dort in das Comox Valley einzudringen. Doch das neblig-feuchte Wetter machte uns einen Strich durch die Rechnung. Ohne klare Sicht riskiert man auf den Schotterpisten, die ins Valley und die zentrale Bergwelt der Insel führen, platte Reifen oder einen Achsbruch. Dafür war unser Miet­wagen einfach nicht ausgelegt. Der Besuch dieses Teils von Vancouver Island mussten wir schweren Herzens auf die nächste Reise verschieben. Stattdessen führte uns die Inseltour am nächsten Tag über Parksville und Qualicum Beach in westliche Richtung nach Port Alberni.

Quer rüber zur wilden Pazifikküste Kanadas

Auf dem Weg von der Ost- zur Westküste kommt man fast automatisch am Old Country Market in Coombs vorbei. Schon allein wegen der seelenruhig auf dem Hausdach grasenden Ziegen zählt der Markt zu einer echt kultigen Touristenattraktion. Nur wenige Kilometer weiter liegen der MacMillan und Little Qualicum Provincial Park. Hier kann man tolle Tageswanderungen unternehmen.

Bevor wir unser Tagesziel Ucluelet am Einstieg zum Pacific Rim National Park an der Westküste Vancouver Islands erreichten, passierte etwas total Skurriles. Westlich von Port Alberni legten wir am Sproat Lake eine kurze Pause ein. Was nur als kurzer Aufenthalt mit Picknick am See gedacht war, endete in einer spontanen Bootstour mit einem lustigen kanadischen Paar aus der Gegend.

Hund über Bord

Auf der Suche nach ihrem Hund, der „über Bord gegan­gen“ war, näherte sich das kanadische Paar, das sich an diesem sonnig-warmen Freitagnach­mittag offenbar schon mehrere Feierabend-Bierchen gegönnt hatte, mit seinem Motorboot un­serem Ufer. Dort wartete der Vierbeiner bereits schwanzwedelnd und wir trugen ihn zurück zu seinen Besitzern. Die Wiedersehensfreude bei Hund und Mensch war groß und vor lauter Dankbarkeit lud uns das Paar zu einer „quick and short“ Spritztour über den See ein. Und weil wir alles an­dere als spießige Deutsche sein wollten, willigten wir schnell ein, obwohl wir zwingend vor 20 Uhr in Uclulet ankommen mussten.

Verrückter Bootstrip mit kanadischen „Freunden“

Was als kurzer Bootstrip angekündigt war, zog sich leider länger hin als uns lieb war. Denn dieser See ist, wie so vieles in Kanada, verdammt groß – und mit 22 Kilometern vor allem sehr lang. Was wir nicht ahnen konnten: Unsere neuen Freunde hatten sich zum Ziel ge­setzt, uns die gesamte Länge des Sees zu zeigen.

In den folgenden zwei Stunden erwies es sich als aussichtslos, ihren ungebrochenen Ehrgeiz zu zügeln und uns zum Zurückbringen zu über­reden. Zumal ihre Partylaune mit jedem weite­ren Bier anstieg und sie drauf und dran waren, uns für die kommende Nacht zu adoptieren. Zugegebenermaßen eine witzige Situation, wie wir mit vier Erwachsenen und zwei Hunden in dem viel zu kleinen Boot saßen. Wir hatten nur ein Problem: Im Gegensatz zu unserer sonst üblichen spontanen Unterkunftssuche, sind Ucluelet und erst recht Tofino im Hochsommer auf Monate aus­gebucht. Dass wir ein paar Tage zuvor überhaupt noch ein Bett im Hostel vorbuchen konnten, war reine Glückssache. Voraussetzung war aber, dass wir an diesem Abend bis 20 Uhr vor Ort waren.

Irgendwann hatten unsere neuen „Best Buddies“ dann doch ein Einsehen und brachten uns zurück zum Ufer, nicht ohne überschwängliche Verabschiedung und eine Einladung zu einem baldigen Wiedersehen auszusprechen.

Der wilde(ste) Westen von Vancouver Island

Die letzten Tage auf Vancouver Island waren gleichzeitig unsere schönsten. Die Westküste zwischen Ucluelet und Tofino ist für uns das absolute Naturerlebnis. In diesem Teil befindet sich der 511 Quadratkilometer fassende Pacific-Rim-Nationalpark, in dem noch große zu sammenhängende Stücke des gemäßig­ten Küstenregenwaldes und einige First-Na­tions-Stämme beheimatet sind. Während die bis zu 100 Meter hohen und bis zu 3,50 Meter Durch­messer starken Douglasien, Riesen-Lebens­bäume und Sitka-Fichten außerhalb des Natio­nalparks der Holzindust­rie zum Opfer fallen, kannst du innerhalb der Schutzzone die ganze Vielfalt bei einer Wanderung über Board Walks durch den Regenwald erleben.

Pacific Rim NP

Pacific Rim National Park auf Vancouver Island

Die Küstenregionen und Flüsse sind außerdem sehr fischreich. Die Meeresströmungen schaffen vor allem im Sommer reichlich Phyto- und Zooplankton aus dem nördlichen Pazifik und den tieferen Meereszonen heran, was eine riesige Artenvielfalt und Fischpopulationen hervorbringt.

Traumküste am Long Beach

Der absolute „Hot Spot“ für Surfer ist der Long Beach. Er erstreckt sich vom Süden des Clayoquot Sounds entlang der Küste zwischen Tofino und Ucluelet und be­steht aus kilometerlangen Sandstränden. Gleich dahinter befindet sich das Dickicht des Küstenregenwaldes. Eine faszinierende Mischung, die wir zuvor noch nirgends gesehen ha­ben. Zum Tagesausklang bieten sich Tofino und Ucluelet mit ihrem „Hang Loose“-Feeling (im übertragenen Sinn: Abhängen, Loslassen) an. Mit ihren bunten Häusern und dem hip­pieähnlichen Völkchen liegt eine Art Aussteiger-Spirit in der Luft. Ideal, um einfach mal „Gott einen guten Mann sein zu lassen“.

Nach Bamfield am Barkley Sound

An unserem letzten Tag im Westen der Insel stiegen wir früh morgens am Hafen von Ucluelet in Versorgungsboote ein. Die Boote bringen Haushaltswaren, Post und Lebensmit­tel zu den abgelegenen Küstenorten und nehmen auch gerne Tagesausflügler mit. Unsere Tour ging nach nach Bamfield am südlichen Eingang des Barkley Sound. Der Ort hat circa 250 Einwohner und wurde 1860 erstmals als dauerhafter Handelsposten eingerichtet. Mit dem Schiff ist Bamfield super zu erreichen.  Ansonsten erreicht ihr das Fischörtchen nur über eine 80 Kilometer lange Holzfällerstraße von Port Alberni aus.

First Nations-Gebiet und Poststation

Die etwa einstündige Überfahrt mit dem Versorgungsschiff ist sehr empfehlenswert. Der Kapitän erwies sich als ausgezeichneter Reiseleiter und erzählte viele interessante Geschichten. Zum Beispiel, dass der Ort seinen Namen ursprünglich von einem Schiffschreiner namens William Eddy Banfield erhielt. Der verließ 1849 sein Schiff, um mit den hier ansässigen Indianern auf dem First Nations-Gebiet der Huu-ay-aht Handel zu betreiben. 1903 wurde dann die erste Poststation eröff­net. Weil ein Regierungsangestellte den Namen falsch buchstabierte, wurde aus Banfield kurzerhand Bamfield. Außerdem erzählte er, dass Bamfield 1902 zum Endpunkt des ersten Untersee-Telegrafenkabels wurde, das den britischen Teil Nordamerikas mit Austra­lien verband.

Auch rauschte der Captain nicht einfach an der wunderbaren Küstenfauna vorbei. Ganz im Gegenteil, er stellte extra den Motor aus, als wir an einer riesigen Seerobben-Kolonie vorbei kamen, um uns die laut heulenden Tiere so nah wie möglich zu präsentieren.

Als wir am westlichen Teil des Bamfield Inlet anlegten, standen schon der örtliche Lebensmittelhändler und der Mann von der Poststelle bereit, um beim Abladen zu helfen. Wir nutzten die Gelegenheit für einen kurzen Bummel durch das beschauliche Küstenörtchen, das eine wunderbare Kulisse für einen romantischen Hol­lywood-Streifen abgeben könnte. Nach einem leckeren Cappuccino im Hafencafé ging die Fahrt zurück nach Ucluelet, wo wir den Abend in einem urigen Restaurant mit exzellenten Fischspeisen beendeten.

Allumfassendes Urlaubsvergnügen

Mein Fazit: Auf Vancouver Island findet man so etwas wie ein all­umfassendes Urlaubsvergnügen. Die wilde Naturschönheit der zerklüfteten Westküste zeigt die Welt der Fischer und Jäger der First Nations. Die sanfteren Landschaften und fjordähnlichen Inselwelten der Gulf Islands zwischen dem Festland und der Ostküste bele­ben die Seele. Traditionelles Essen findet man genauso wie neue kulinarische Ideen. Und die ständige und unmittelbare Nähe zum Element Wasser weckt die Leidenschaft zu allen möglichen Aktivitäten, ob Kanufah­ren oder Whale Watching, Surfen oder Segeln.

Der überwiegende Teil von Vancouver Island wird von der wilden Natur bestimmt, die man auf endlosen Trekking-Touren oder Schiffspassagen am besten erlebt. Besonders der weniger besiedelte Norden ist unser nächstes Ziel.

Ich habe mich jedenfalls auf den ersten Blick in die Insel verliebt.

Ward ihr schon auf Vancouver Island? Was hat euch besonders gut gefallen? Wenn ihr konkrete Reisetipps braucht, meldet euch. Ich habe vor, in diesem Sommer wieder hinzufahren.

Reisen 2007, 2011 (vorauss. 2019)

Alle Fotos © Simone Blaschke